Dieter Asmus |
||
Betreten verboten |
||
Es
geschehen noch Zeichen und Wunder. „Malerei ist heute das
Schwierigste, und zwar die gegenständliche, die figürliche Malerei.“
Sagt der geschätzte Jean-Christophe Ammann (KUNSTZEITUNG 75, Nov. 02),
der ja bekanntlich das Gras wachsen hört, um wenig später noch eins
draufzusetzen: „Die gegenständliche Malerei setzt ein räumliches
Verständnis, ja eine Intuition für den Raum voraus.“ Da bin ich
aber, gelinde gesagt, baff! Mit der Erforschung einer zeitgenössischen
gegenständlichen Malerei über die Moderne hinaus unter Durchdringung
der technischen Bildmedien (Foto, Film Video) beschäftige ich mich seit
40 Jahren! War
es denn nicht gerade der Raum, der von den Künstlern der Moderne am
meisten bekämpft, ja mit allen Anzeichen einer schweren Phobie
verabscheut wurde? Die Koordinaten der Kunst des 20. Jahrhunderts hatten
doch laut Kandinsky „Punkt, Linie, Fläche“ zu sein, und daran
versuchten sich sogar die Architekten zu halten, die es ja expressis
verbis mit „Räumen“ zu tun haben. Und hatte nicht Paul Klee lapidar
erklärt „Ein Bild ist eine Fläche“? Das wußten wir zwar vorher
schon, und vermutlich hat niemals ein Mensch – von den Höhlen
Lascauxs über die Trompe-L’Oeil-Türen der Engelsburg bis zur Gruppe
Zebra – versucht, einen gemalten Raul zu betreten, aber fortan
klappten alle Horizonte auf den Bildern hoch wie die Bürgersteige
abends um 9 in Neumünster, alle Tische wurden nur noch von oben
gesehen, keine Figur (wenn überhaupt geduldet) durfte eine andere überschneiden,
kein Arm einen Bauch, kein Baum einen Strauch. Nein, alles mußte hübsch
säuberlich aufgereiht erscheinen wie auf Kinderzeichnungen, Ikonen, ägyptischen
Gräberwänden. Eingemauert in den Bildhintergrund wie dereinst die
Gegner Kublai Khans, die zur Befestigung der Stadtmauer und Abschreckung
der Feinde dienten. Nun
bin ich wahrlich der Letzte, der die Errungenschaften der Moderne
verkennt, die die Mittel, mit der die Kunst ihre Wirkung erzielt, nach
einem in Anekdote und Historismus versackten 19. Jahrhundert erst wieder
isoliert und bewußt gemacht hat. Ich verdanke ihr, insbesondere den
Herren Picasso und Dubuffet, überhaupt das Bewußtsein für Form! Aber
– und das scheint ein geradezu biologisches Gesetz zu sein: jede, auch
die modernste Form, nutzt sich irgendwann ab und wird Geschichte. Dieser
Punkt war schon Mitte der 60er Jahre erreicht, als an allen Kunstschulen
„Kandinskys Gesetz“ flächendeckend griff und jeder Student, der
sich nicht daran hielt, in akuter Relegationsgefahr schwebte. Was mich
immer am meisten verblüfft hat: Ausgerechnet in einem Moment, da die
Menschheit via Raumfahrt die Möglichkeit bekam, nicht nur die
Ausdehnung ihres eigenen kleinen Planeten, sondern den ungeheuerlichen
Weltenraum zu erleben – ausgerechnet da kapriziert sich die Hoch-Kunst
darauf, flächig sein zu wollen ( schon Manet hatte ja behauptet „Plus
c’est plat, plus c’est de l’art“ – etwa: „Je platter, desto
kunster“)! Eines
Tages tauchte mein Kollege Bernd Schwering mit seiner fetten BMW über
der Kimm des Weinbergs hinter unserem Ferienort auf, vor sich halbschräg
am Sattel nach Westernart die „Rifle“ – die sich als
Riesenteleskop zur Sternenbeobachtung herausstellte. Noch in derselben
Nacht gelang es uns, mit Hilfe der hochkant gestellten Gartenbank als
Stativ etwas zu beobachten, was ich mein Leben lang nicht vergessen
werde: den Jupiter mit seinen 5 unterschiedlich großen Monden im
leeren, drohenden, samtdunklen Raum auf unterschiedlicher Ekliptik
kreisend, scharf angeleuchtet von der für uns unsichtbaren Sonne, sehr
schwarze Schattensegmente auf den Planeten selbst und seine Trabanten
werfend – ein Anblick, der die Entwicklung meiner weiteren Bilder
entscheidend forciert hat! Wenig später sah ich auf einer Großleinwand
den zweiten „Star Wars“- Film, über den damals viel gelästert
wurde – zu Unrecht, denn er vermittelt vor allem zwei Phänomene: das
Erlebnis des menschenleeren, saugenden Weltenraums und, mit den
„Fliegenden Städten“ seiner Raumflotte, sozusagen nebenbei, die
Vision einer hochdifferenzierten, dabei vollkommen zeitgenössischen
Architektur ( wenn auch von den Comiczeichnern Moebius und Druillet
geklaut). Nun,
da der Lärm der geistigen Schlachten des vorigen Säkulums sich langsam
in der Ferne verliert, kann man vielleicht sichten, was uns Heutige
weiterführt, was nicht. Die Todfeindin Zentralperspektive ist in freier
Natur ja kaum erlebbar, erst die am Reißbrett geplanten Städte der
Renaissance mit ihren ins Unendliche führenden Häuserzeilen machten
sie sichtbar. Aber man kann „Raum“ natürlich auch völlig anders
erzeugen, mit einem Fading von Hell nach Dunkel (oder umgekehrt), durch
Verkleinerung der Figuren vergleichbarer Größe nach „hinten“,
durch Überschneidung, Farbperspektive, Luftperspektive, Schatten (die
über Abstände Auskunft geben) – es genügt, eines dieser Mittel
anzuwenden, denn es geht ja nie um „Nachahmung“, sondern um
Imagination und Suggestion. Raum in der Kunst ist, ob in der Anmutung
illusionistisch oder nicht, vor allem ein geistiger – zu betreten
ausschließlich psychisch, nicht körperlich. Wenn
es stimmt, daß das neue Jahrhundert sich vom vorigen so kraß
unterscheiden wird wie das 20. vom 19., dann ist es vielleicht
angebracht, eine Prognose für die neuen Schwerpunkte zu wagen: -
„Raum, Volumen, Licht!“ |
||