Karlheinz Schmid

 
     
 

Qualität ist keine Frage der Einschaltquote

Ein Gespräch mit Dieter Asmus

 
     
 

    Ende 1964, also vor einem Vierteljahrhundert, wurde in Hamburg die Gruppe "Zebra" gegründet. Der Maler Dieter Asmus vertritt nach wie vor das Manifest dieser Realisten. Weder Kunstmarkt noch Zeitgeist können ihn irritieren: Ein Künstler mit Haltung, fernab der bewährten Halterungen des Kunstbetriebs.

    K.S.: Vor 25 Jahren, damals noch als Student an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, hast du einen Neuen Realismus proklamiert, der auch heute noch für dich gültig ist. Was kennzeichnet diese Malerei? Warum bist du diesem Kunstbegriff, jenem hoffnungslos vom Zeitgeist vernachlässigten Stil, nach wie vor treu? Eine Marotte?

    D.A.: Realismus finde ich heute noch wichtiger als damals. Es darf ihn, im Sinne eines linearen Fortschritts, eigentlich ja gar nicht geben. Er ist sozusagen ein Unfall in der Kunstgeschichte. Ich habe immer das Gefühl, daß er den Fachleuten peinlich ist. Insofern ist die Situation durchaus mit dem 19. Jahrhundert vergleichbar: Der "offizielle Salon" be­stimmt, was modern ist; alles, was den common sense verletzt, gibt es nicht! Man darf jedoch nicht vergessen, daß ich 1960 als Tachist angefangen habe, woraus sich dann langsam - über Dubuffet und Bacon - eine neue Gegenständlichkeit, schließlich ein neuer Realismus entwickelte. Ich bin dabei nicht zurückgegangen, sondern durch die Moderne hindurch über sie hinaus: Ich versuche, mit den unbestreitbaren formalen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts die Kunst an die tatsächlich existierende Welt heranzuführen.

 

    Daß deine Malerei fernab naturalistischer Wirklichkeit angesiedelt ist, dokumentieren die Bilder. Die zeigen freilich auch, daß du mit dem Neuen Realismus amerikanischer Kollegen nichts zu tun hast. Die porentiefe Malerei eines Chuck Close, so scheint es, interessiert dich nicht, wenngleich Oberfläche auch in deinem Atelier eine zentrale Bedeutung hat. Wie distanzierst du dich von Hyperrealisten? Wie von Kritischen Realisten?

   Fotorealisten interessieren sich nicht für die Realität. Ben Schonzeit sagte: "Ich habe nicht das Empfinden, Realismus zu machen, sondern abstrakte Malerei." Und Chuck Close: "Ich fertige Gemälde an, keine Porträts. Ich bin daran interessiert, wie die Kamera sieht und was sie festhält. Der kritische Realismus argumentiert auf begrifflicher Ebene und gebraucht die Gegenstände zur Illustration von Gesinnung. So ist er moralisch aus dem Schneider, bewirkt aber nichts. Um etwas zu bewirken, muß Kunst ihre ureigene Stärke ausspielen, nämlich auch künstlerisch revolutionär sein.

    Vor einem Vierteljahrhundert hast du, gemeinsam mit Peter Nagel, Nikolaus Störtenbecker und Dietmar Ullrich, die Gruppe "Zebra" gegründet. Ein Zwitter, kombiniert dank "Zero" und "Cobra"? Die­se konträren Bewegungen haben sich in den "Zebra"-Bildern allerdings nicht durchsetzen können. Was also will uns das "Zebra" mitteilen?

    Das "Zebra" widerlegt die Behauptung: "Kunst und Natur geben einen schlechten Reim." Das "Zebra"" ist ein Lebewesen, ein Tier, ein Stück Natur - insofern programmatisch. Allerdings mit künstlicher "Bemalung", insofern ist es gleichzeitig ein Kunstprodukt. Die Natur ist - das weiß jeder, der eine Katze oder einen Hund hat - nicht "natürlich", sondern rituell. Das "Zebra" signalisiert nach einem Jahrhundert der Abstraktion die radikale Hinwendung zu den Dingen.

    Im ersten "Zebra"-Manifest, 1964 entstanden, gibt es einen Hinweis auf die gesellschaftliche Stellung der Kunst. Wird dieses Bewußtsein nicht durch die Tatsache getrübt, daß mit einer derart minimalen Produktion, wie sie für Realisten deiner Art typisch ist, gar kein Einfluß möglich ist? Vier Jahre lang hast du beispielsweise den "Froschtest" gemalt, Pausen inklusive. Und soeben ist dein sechs Quadratmeter großes Gemälde "Baby-Tauchen" fertig - Immerhin nach zehnjähriger Arbeit. Was Wunder, dass Asmus-Bilder selten auftauchen, im Kunsthandel kaum eine Rolle spielen? Wer langsam malt, hat also das Nachsehen, oder?

    De facto ja, im Prinzip nein. Auf Dauer ist Wirkung beziehungsweise Qualität ja nicht eine Frage der Einschaltquote. Von Leonardo existieren zehn Bil­der, von mir immerhin rund 60! Wenn viele Aussteller und Medien nicht fast ausschließlich zeigen würden, was ihnen der Handel vorkaut, wären meine Bilder auch öfter zu sehen. Ich könnte dir aus dem Stand zum Beispiel eine Ausstellung "Realisten nach 45" auf die Beine stellen, daß du vom Stuhl fällst.

    Also los?!

    Wird nicht gemacht. Das hängt sicherlich auch mit der Entscheidung der Nationalsozialisten zusammen, die gegenständliche Malerei auf ihren Schild zu heben: eine verhängnisvolle Wahl, die den Realismus bis heute pauschal diffamiert. Bis 1935 war übrigens interessanterweise nicht raus, ob nicht der Expressionismus offizielle Staatskunst werden sollte, das nur nebenbei. Außerdem scheint sich heute niemand zuzutrauen - weil im gegenständlichen Sehen völlig ungeübt -, eine solche Realisten-Ausstellung unter qualitativen Kriterien - und nicht phänomenologischen - zusammenzustellen. Das wäre doch mal eine Aufgabe, Herr Joachimides?

    Zurück ins Atelier! Du bist ein Meister der Akribie. Ich werde niemals vergessen, daß du vor etlichen Jahren, als sich das passende Vorbild nicht finden lassen wollte, in mühevoller Arbeit das Rad eines kleinen Flugzeugs modelliert hast, um es dann zu malen. Macht solche Detail-Liebe einen Sinn? Handelt es sich dabei nicht auch um "hochgezüchteten Individualismus", wie er einst im "Zebra"-Manifest“ angeprangert wurde?

    Dieses Beispiel zeigt eigentlich sehr gut, worum es geht: "Passend" mußte das Rad sein. Es hätte ja auch der allgemeine Vorstellungsbegriff "Rad" sein kön­nen, aber nein: Wenn man einen bestimmten Ausdruck haben will, darf es nicht irgendein, sondern muß es unbedingt ein bestimmtes Rad sein.

    Welche Erkenntnis steckt dahinter? Um welchen Ausdruck geht es?

    Ich will ja erreichen, daß sich die Gegenstände wieder ins Bewußtsein setzen. Ich muß ihnen also einerseits ihre Faszination erhalten - das versuche ich, indem ich sie in ihrem „absoluten Moment“ zeige. Ich muß aber zugleich dieses Suggestion in Form, in ausdrucksintensive Bildsprache umsetzen - das kann heute nur über eine genau dosierte Akribie funktionieren. Ich erinnere an Picasso: "Man muß immer die kühle Stelle auf dem Kopfkissen suchen." Wenn ein realistisches Bild gelingt, dann befindet sich der Gegenstand in perfekter Spannung zwischen Form und Inhalt, beides bleibt sichtbar, obwohl es kongruent ist. Es entsteht nicht L'art pour l’art, sondern L'art pour l’homme.

    Eine wichtige Funktion spielt für den Maler Dieter Asmus die Fotografie, teils eigene Aufnahmen, teils Material aus Zeitschriften und anderen Publikationen. Die Bewußtmachung der Fotografie, so dein frühes Statement, sei überfällig; man habe die veränderten Sehgewohnheiten zu berücksichtigen. Läßt sich denn dieser Anspruch realisieren, wenn schließlich nicht mehr erkennbar ist, ob sich die Malerei auf eine konkrete fotografische Aufnahme bezieht? Haben jüngere Kollegen, die nun mit der Fotografie arbeiten und das auch per Ergebnis zeigen, nicht bessere Chancen?

    Schwitters hat mal das vorschnelle Diktum aus der Hüfte geschossen, was man fotografieren könnte, braucht man nicht zu malen. Konsequenz: abstrakte Kunst!
Das ist natürlich Käse, wie wir mittlerweile wissen, nämlich ein schiefer Antagonismus. Die Kunst braucht längst nicht mehr den größtmöglichen Abstand vom Foto zu halten, und die Spur der Fotografie ist in meinen Bildern sehr wohl zu sehen. Im Gegenteil: Die meisten meiner Bilder hätten ohne Foto gar nicht gemacht werden können. Ein
Beispiel: Wenn man ein Tier in schneller Bewegung sieht, etwa einen fliegenden Vogel, dann sieht man, dass  er fliegt (also den Begriff), aber nicht genau, wie er fliegt (die Gestalt). Erst die Kurzzeitfotografie oder die Zeitlupe liefert das Dokument eines Vorganges, den wir aufgrund der Trägheit unserer Augen vorher nicht erkennen konnten. Außerdem, und da wird es für den Künstler brisant, liefern sie eine merkwürdige Verfremdung - und damit Erneuerung - der Gegenstände.

    Na schön, Dieter. Das leistet das Foto. Aber warum, um Gottes willen, malst du es zu allem Überfluß dann noch?

    Weil uns  das Foto in einer Zeitung oder im Fernsehen als Bild nicht bewußt wird. Wir nehmen das Foto als Dokument - das ist wohl auch seine größte Stärke -, als Erlebnisersatz, Erinnerung, Gedankenstütze, kurzum: praktisch, aber nicht als ästhetische Figur. Erst die Übersetzung ins Kunstmedium Gemälde mit fundamentalen Stilisierungen in Richtung Deutlichkeit des Ausdrucks schafft diese ominöse Ordnung, ohne die kein Bewußtsein entsteht. Das Dokumentarfoto mumifiziert die Dinge, mein Bild stellt sie für unsere Zeit exemplarisch her, das heißt: von Grund auf neu.

    Seit wenigen Jahren besinnen sich immer mehr Künstler auf ihr Urheberrecht. Wie regelst du das mit den Fotografen deiner Vorlagen? Mußt du ständig mit neuen Ansprüchen der Urheber rechnen?
Und hat sich denn dein Umgang mit dem Medium Fotografie in den vergangenen Jahren geändert?

    Ich "male" das Foto ja nicht "ab"! Ich übersetze es, wie du weißt. Die meisten Fotografen freuen sich, wenn ihr Foto verwandelt als Bild bei mir auftaucht. Bislang hat noch kein Fotograf Honoraransprüche angemeldet. Ich könnte natürlich alle Fotos selbst machen. Immerhin fotografiere ich, solange ich denken kann. Aber bestimmte aktuelle Fotos, etwa die Ermordung Kennedys, entziehen sich einfach meinen Möglichkeiten. Mein Umgang mit der Fotografie hat sich nicht verändert. Mir fällt jedoch auf, daß sich die Qualität der Fotos, technisch und künstlerisch, in den letzten Jahren enorm gesteigert hat.

    Unser gemeinsamer Freund Armin Schreiber hat vor einigen Jahren eine tiefschürfende Analyse deiner Malerei geliefert und dabei festgestellt, daß durch kühne Perspektive, rasante Bewegung der Figur und durch eine überraschende Geste "die Ebene der Sensation" erreicht wird, wo Wirkung und Wirklichkeit eng zusammenrücken. Bedeutet das eine Abkehr von Metaphern und vergleichbaren Übersetzungen, zugunsten der Dinge selbst? Wenn ja, lohnt der hohe Aufwand, der jahrelange Einsatz? Alles für die Präsenz des Gegenstands? Neuer Realismus oder neues Pathos?

    Wenn ich leichter erreichen könnte, was ich meine, würde ich das tun. Ich bin nicht bescheuert und gehe ohne triftigen Grund freiwillig auf die Galeere.

    Wie steht's mit den Metaphern?

    Ja, doch: Metaphern sehe ich im Grunde als unkünstlerische begriffliche Ersatzkonstrukte für Leute, die nur denken können, visuell aber Analphabeten sind.

    Welche Philosophie steckt denn dahinter?

    Seit dem Impressionismus, also seit 1872, hat die Kunst sich immer weiter von der Welt entfernt, zugunsten einer - damals hochwertigen - Rückbesinnung auf die Mittel. Gleichzeitig hat sich die real vorhandene Welt durch Wissenschaft und Technisierung weit radikaler verändert als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor! Im Verein mit einer Philosophie, der ein „Gedankending" allemal wichtiger als die vorhandene, „unreine" Welt war, und einer Amtskirche, deren Paradies „nicht von dieser Welt" war, ist es offenbar soweit gekommen, daß wir nicht wissen, ob der Planet, auf dem wir stehen, das nächste Jahrhundert überhaupt noch erreicht.

    Ein weitreichender Blick! Siehst du dabei eine Auf­gabe für die Kunst? Sollten wir nicht besser ins Greenpeace-Lager wechseln?

    Es paßt ins Konzept, daß die Kunst seit über 100 Jahren nichts Besseres zu tun hat, als sich selbst zu thematisieren, „die Welt in Farbe zu verwandeln“ und was dergleichen Sandkastenspiele mehr sind. So ungeheuer wichtig die Moderne für die Befreiung der künstlerischen Mittel aus dem Akademismus des 19. Jahrhunderts war, so sehr - machen wir uns da doch nichts vor - hat sie sich in ihrer Orthodoxie mittlerweile verbraucht und ist selbst zum Akademismus, zur Fin-de-siecle-Kunst des 20. Jahrhunderts geworden. Unsere Probleme sind doch ganz andere als vor 100 Jahren!

    Und da soll nun dein Neuer Realismus helfen?

    Kunst kann das, wenn sie wirklich zeitgenössisch ist. Sie kann, wenn sie nicht im gutgemeinten Appell oder im Formalismus stecken bleibt, sondern im ursprünglichen Sinne radikal ist, Mentalitäten, Vorlieben, Moden, gesellschaftliche Schwerpunkte ändern, wenn sie ihre genuine Kraft zur Utopie, zur Schaffung neuer Leitbilder einsetzt.

    Was heißt das heute?

    Das bedeutet für unsere Zeit: Wenn die Kunst die atemberaubende Einmaligkeit, die enorme Differenziertheit, das jede Phantasie übersteigende Formenpotential der uns umgebenden Welt als Wert spürbar, fühlbar, erlebbar macht. Und das leistet heute offen­bar nur der Neue Realismus.

    Große Worte, mein Lieber. Da mußt du genauer werden!

    Der Neue Realismus bringt die nötige Sturheit, Konzentration, ja, sagen wir es ruhig: die Liebe auf, die nötig ist, um Menschen, Tiere, Dinge, Landschaften so darzustellen, daß ihr Verlust wirklich an die Eingeweide geht. Wenn das Pathos ist, lieber Carlo: Bitte sehr!


(erschienen in KUNSTFORUM International Nr.104)
 



 
     

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